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Da tut sich was

    Da tut sich was 1

    Ausgehungert nach Vergnügen
    (...) Und dann wurden wir natürlich zu Tanzabenden eingeladen, die reihum in den besetzten Villen stattfanden. Wie gerne gingen wir dorthin! Nicht allein des Essens wegen. Wir waren ja ausgehungert nach Vergnügungen! Und wir waren jung und neugierig auf das andere Geschlecht. Auch die jungen Soldaten hatten grausame und entbehrungsreiche Monate hinter sich und wollten sich einfach vergnügen. Die fanden uns süß und fassten auch mal hin, konnten bei uns aber nicht landen. (...) Unter den Mädchen in unserem Viertel gab es klare Regeln. Wir gingen nie alleine zu einer Einladung und auch nur dorthin, wo andere Bekannte waren. Um 22 Uhr ertönte das berühmte "Curfew". Eine Sirene läutete die Sperrstunde ein. Ein halbes Stündchen konnte man schon mal überziehen, aber dann sollte man schleunigst nach Hause.
    Am meisten freute uns, dass wir zum ersten Mal tanzen konnten. Wir lernten Gershwin und die amerikanische Jazz-Musik kennen. Was für ein Riesensprung für uns nach jahrelanger Marschmusik! Wir rauchten und tranken Alkohol bei den Tanzabenden. "Knollibrandi" nannten wir das selbstgebrannte Zeug. Unsere Mutter war machtlos. Wir waren nun erwachsen und ihr im Wortsinne über den Kopf gewachsen. Sie ließ die Dinge geschehen. Und schließlich lernte sie auch die Vorzüge der Zigaretten als Tauschware kennen. Nach all den Verlusten, dem schrecklichen Krieg und der kargen Zeit wollten wir nur eines: Aufatmen, aufleben, glücklich sein.
    Es dauerte nicht lange, da verliebte ich mich Hals über Kopf in einen Offizier. Sein Name war Rodolfo. Er war Puertoricaner - und verheiratet. Am Rhein traf ich mich mit ihm, wir schlenderten Arm in Arm und schmusten. Ich bat ihn, mir Spanisch vorzusprechen, weil ich die Sprache so schön fand, auch wenn ich nichts verstand. Mehr ließ ich nicht zu. Meine katholische Erziehung und die mahnenden Worte meiner Mutter sagten mir "Du darfst dich nicht gehen lassen". Und da ich wusste, er hat Frau und Kind, fiel es mir leichter, die Bremse zu ziehen. Gott sei Dank war seine Armeezeit alsbald zu Ende und er fuhr zurück in die Heimat.
    Ab dem Sommer 1946 erreichten uns Care Pakete aus Amerika. Entfernte Verwandte meiner Mutter aus dem Saarland, von denen sie Jahrzehnte nichts gehört hatte, bekamen irgendwie unsere Adresse heraus und versorgten uns mit dem Nötigsten - oder was sie dafür hielten. Ich bekam zum Beispiel einen Bisammantel, der schon beim Anschauen auseinander fiel. Und ein glitzerndes, rosafarbenes Negligé. Unschicklich für die solide Tochter, die immer Schlafanzug trug! Aber es gab auch einmal ein Pfund Kaffee oder Seife und Zigaretten. Das war die einzige Währung, mit der wir uns etwas leisten konnten. (...)

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